• Wenn ich sowas schon höre...

    Vorgestern war es so weit. Am  18. November 2019, kurz nach 20.00, hörte ich "es" zum ersten Mal in der Tagesschau. Eines dieser neuen, ekelhaften Wortbratzen, eins der schlimmeren. Der Wortmüll, den ich immer wieder bekämpft habe,  von "Car-Sharing" über "Team-Teaching" bis zum "Steil-Schiet", und selbst die "Chance auf" seien dagegen geschenkt, das ist schon Schnee von gestern, hundertfach gesendet und gedruckt. Aber jetzt kam der Hammer, eine Stimme von sprühender junger Weiblichkeit sprach es fast vergnügt aus, im Kontext einer Erklärung zu irgendeinem Datenwahnsinn - irgendwelche Daten seien durch die und die Programmiertechnik auch nunmehr....

    zuordenbar

    Tja, jetzt ist es heraus. Gehört habe ich das Wort wohl gelegentlich schon, aus mehr oder minder berufenem Munde, und jedesmal bin ich zusammengezuckt wie bei einem knirschend-quietschenden Misston, mit der Gabelspitze über die Schiefertafel sozusagen, oder als säße ich in der Probe zu einer meiner Lieblingssinfonien, ausgeführt von einem Taubstummen-Orchester im Hospiz zu Charenton unter Anleitung des Herrn de Sade. Es waren aber immer ganz harmlos dummdeutsch-sozialisierte Sprachgenossen, die den stinkenden Bratzen ahnungslos fallen ließen, nicht grade Nachrichtensprecher, Politiker oder "Arbeiter der Stirn und der Faust(-interpretationen)", die es besser wissen müssten.

    Es ist auch nicht so, dass sich die Redaktion nun schämt - weit gefehlt. Im Gegenteil!! Gebe ich den Namen "Tagesschau " und das Quatschwort bei Google ein, stellt sich heraus, dass sich die Redaktion längst angewöhnt hat, dieses Wort zu benutzen. Nicht nur in Leserkommentaren, auch Meldungen wie am 7. 11.2019: "Spahn-Gesetz im Bundestag: Ist die digitale Arztpraxis sicher?" da wird ein gewisser Armin Kessler von der Linkspartei ohne Anführungszeichen zitiert, mit der Besorgnis, einzelne Patientensätze seien trotz Anonymisierung leicht "zuordenbar". Nachfolgepartei der SED! Liest man die Stasi-Unterlagen, fällt einem überall die Verrohung der Sprache auf. Bei den Geheimdiensten im Westen ganz ähnlich: Auch in dem NSA-Untersuchungsbericht des "Selektionsbeauftragten" der Bundesregierung Kurt Graulich stößt man auf Sprach-Sondermüll: "Auf dieser Stufe werden die Selektoren anhand eindeutig zuordenbarer technischer Parameter auf G10-Relevanz überprüft..." womit z. B. die Vorwahl +49 gemeint sein soll. 

    Freunde! Feinde! Lasst uns innehalten, Luft holen und bei allen Gegensätzen daran festhalten: "Zuordenbar" ist kein Adjektiv! Das lassen wir nicht zu! So ein Ungetüm kommt uns nicht in den Wortschatz! No pasarán! Und wenn es morgen kanonisert wird, weil Neologismen der Tagesschau automatisch DUDEN-relevant werden? Bitte: Zwar kann man etwas zuordnen, dies oder das kann eventuell noch "zuzuordnen" sein, es wird aber durch noch so schöne Parameter nicht "zuordenbar". NEIN, NEIN, NEIN! Wollt ihr das womöglich noch steigern, z. B. behaupten, dieses oder jener Parameter sei noch "zuordenbarer" als die Vorwahl +49, und wir suchen anschließend noch im ganzen weiten deutschen Sprachraum nach dem "zuordenbarsten" aller denkbaren Parameter? Was hätte Kant dazu gesagt? "Obwohl geistesgeschichtlich noch der Epoche der Aufklärung zuordenbar", schreibt ein gewisser Heinz-Kurt Wahren in einem Buch, "kann man ihn als ersten Philosophen der Neuzeit betrachten". Auf Kants Lehre der Deduktion beruft sich auch Markus Arnold in Die Erfahrung der Philosophen (Wien/Berlin 2010), wo es S. 302 heißt, "Daher sollte auch in der transzendentalen Deduktion die Frage nach dem Geltungsbereich der Gesetze eng mit der Frage verbunden sein, welche Art von Handlungen und welche Art von Gesetzen dem transzendentalen Subjekt zuordenbar sind"... Und selbst das Immanuel-Kant-Gymnasium zu Tuttlingen lässt in der Datenschutzerklärung seines Webauftritts verlauten. "Diese Daten sind nicht bestimmten Personen zuordenbar..." Lässt sich diese Schrumpfgrammatik in den Köpfen denn gar nicht mehr vermeiden? "Sprache ist lebendig", hör ich die Beschwichtiger schon. Na klar, Sprache ist lebendig! Besser noch, anders als vieles andere Lebendige kann sie sich nicht wehren gegen diejenigen, die sie in den Mund nehmen. Sie kann gekaut oder ausgespieln, geknetet oder geknechtet werden, man kann sie verhunzen und verstümmeln, sie kann alt und hutzelig darüber werden. Wollt ihr das??? Aber wenn das alles nicht abhält, dann vielleicht dies: Wenn sich das Wort "zuordenbar" durchsetzt, werden auch noch andere Verben in dieser Weise adjektivisiert. Und dann droht außer den hunderttausend humorigen Friseurs-Wortspielen mit "Haar", "Head", "Schnitt" usw. usw. auch noch eine ungeahnte neue Springflut bescheuerter Kneipennamen, nach "Unvorstell-Bar", "Unkünd-Bar" "Bar-Code", "Bar jeder Vernunft" wird es nun die "Zuordenbar" geben, dort kann ein jeder ordentlich ordern, wenn er oder sie nicht zu zu oder die Bar schon zu ist...


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  • Commentaires

    1
    Dimanche 15 Décembre 2019 à 00:16

    Gut gebrüllt, Löwe! Ich bin zwar durchaus für Neologismen und Wortmigranten zu haben, aber dieses Monstrum hat mit lebendiger Sprache nichts zu tun. Um die Metapher zu vertiefen, der lebendige Sprachkörper hat sich da einen üblen Herpes eingefangen.

    Übrigens wird das böse Wort nicht erst morgen kanonisiert. https://www.duden.de/suchen/dudenonline/zuordenbar

    Ich hoffe aber, dass es nicht druckbar ist.



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