• Richtig überweihnachten!

    Über die Weihnachtstage kam mir endlich nach langer Durststrecke ein Auftrag ins Haus, passend zum Thema "Salonkultur", passend auch zum Scherenschnitt-Wesen,Shampoowerbungdas mich in Form von Vereinssatzungen auch die ganzen Feiertage über beschäftigte (telefonisch, schriftlich). Im einen Fall war es ein Vorstand, der nie gültig gewählt wurde und außerdem keine Beschlüsse fassen kann, da er die Mindestkopfzahl nicht erreicht, im anderen eine Shampoo-Traditionsfirma, die seit Jahren mit dunklen Gestalten wirbt. Inzwischen zeigt sie in ihren Prospekten lieber schlanke blonde Lichtgestalten mit allerneuester Mode,Türkisches Sylvester u. a. inspiriert von einer Typenlehre, wie sie anachronistischer nicht sein könnte. Aber nichts da mit Pyknisch-leptosom-athletisch, wie ich das noch gelernt hatte, sondern dunkle Engel, kühle Jäger, wohlhabende Hippies und Menschen, die süchtig nach Leibesübungen sind, so könnte man die Namen dieser vier Gruppen übersetzen, die derzeit stilprägend für die Mode sind (nur 2011, für 2012 gibt's bestimmt wieder was neues). Aber wozu Übersetzen? Übersetzer werden gar nicht mehr gebraucht, heute können alle Denglisch. Die Überschriften bleiben original, der Text wird den Schopfkosmetikern eh deutsch und englisch geboten. Und deshalb bSchilder in Bayenthaleschränkte sich das Auftragsvolumen auch aufs Korrekturlesen, was natürlich bei weitem nicht so gut bezahlt wird, dass man sich, wie typisch für meinen Modetyp (weder Jäger noch Engel noch sportief), einen hippen und trotzdem opulenten Lebensstil leisten könnte. Also saß ich für eine vergleichsweise bescheidene Überweisung, die glücklich noch im alten Jahre versteuert werden kann, über einen Text gebeugt, der in vielen schönen Worten ungefähr das aufgriff, was Doc Doxey, dieser Quacksalber auf den Wildwest-Märkten in "Lucky Luke" verspricht. Eine Statistik immerhin war interessant, sie besagt, dass nur ein Drittel der Besucher eines Koaförs (so und nicht anders die Ortographie des türkische Salons "Flash" an der Bonner Straße) blond sind, aber 60 % des Umsatzes mit Blondprodukten gemacht wird. Natürlich ging ich die Korrekturarbeit ruhig an, am Heiligmorgen wurde erstmal Wäsche gewaschen, wie heute, am 2. Januar auch wieder (zwischen Weihnachten und Neujahr soll man bekanntlich keine aufhängen - und zwar entweder, weil sich sonst garantiert jemand erhängt, wenn die Leine gespannt wird, oder, weil sonst der Weiße Reiter kommt und Unglück über das Haus bringt, da hilft auch kein Weißer Riese mit Riesenwaschkraft). Daher beschäftigte ich mich am 1. Weihnachtstag erst mal mit Ausdrucken (neuer Drucker, dann, weil ich den noch nicht richtig bedienen kann, auf den alten umgewechselt), druckte nur die Textseiten aus, die ich mir dann auch noch hochkopieren musste, weil sie viel zu klein waren, das wird ein stattliches Vierfarbprodukt mit Zeitschriften-Anmutung, mit vielen leichtbekleideten Miezen und Muskelmännern drin. - Den Heiligabend verbrachte ich indessen bei meinen Schwiegereltern, auf einer traditionell-familiären deutschen Weihnachtsfeier, Übergabe der Geschenkewo nicht weniger als 18 Personen ihre beschrifteten Pakete unter den Baum legten - die Kleinsten hatten auf dem Weihnachtsmarkt Ente und Gans an die Krippe gebracht, wo auch Schäflein, Ochs und Esel das Wunder der Menschwerdung Jesu bestaunen. Weihnachtsgaben unter dem BaumEbenfalls wie durch ein Wunder waren die Geschenke im Handumdrehen an die richtigen Empfänger verteilt, das war, obwohl es auch die Kleinsten erledigten, eine Sache von Sekunden. Na, und wenn sich jemand über ein Geschenk gefreut hat, war es mein Schwiegervater, dessen Tochter von der Pferdemetzgerei drei Häuser neben dem Koaför Flash (das sh wird übrigens türkisch, mit so einem diakritischen Punkt unter dem s geschrieben) eine Dose Sauerbraten mitgebracht hatte. Dieser nette, aber nicht leicht zu beeindruckende Mann, der sich eigentlich nie was wünscht, setzte sein sonnigstes Lächeln auf und stieß fast unhörbar (nur von mir wahrgenommen, der ich ihn durch die kreischende, geschenkeauswickelndeWeihnachtskrippe Kinderschar hindurch beobachtete) einen recht von Herzen kommenden kölschen Seufzer der Genugtuung hervor, der nach Heinrich Böll in der Öffentlichkeit mitunter zu Mißverständnissen einlädt. Als aber die gesamte, teils von weither angereiste Familie, zu der gefühlte vier Generationen hier versammelt waren, dazu einige Gäste, Freunde, ein Austauschschüler aus Martinique und so weiter, am Wohnzimmertisch Platz nahm, um eine gewaltige Fondue anzuleiern, irgendeiner hat immer noch keinen Stuhl, verabschiedeten wir uns freundlich, obwohl für alles und alle im Überfluss gesorgt war, wie immer wieder beteuert wurde. Trotzdem war der Trubel bei 18 Personen natürlich viel zu groß, und wir hatten schon unsere ebenfalls traditionelle Fondue für zuhause eingekauft. -Sylvesterfeuerwerk Die nächsten Tage vergingen relativ untätig, ich wollte eigentlich Jahresendgrüße auf den Weg bringen, was mir zu mühsam war, außerdem hielt mich der Scherenschnittverein in Beschlag und auch die als "dschipacks" zu Dutzenden an meinen Auftraggeber versandten Korrekturen hielten mich noch in Atem, weil die Bilder durch das Internet teils schadhaft auf der anderen Seite ankamen - so unzuverlässig ist auch die elektronische Post, der ich aber dann trotzdem unseren Meeresglückwunsch anvertraute. Zwischendurch Spaziergänge durch das trübe Jahresendgrau, bei ungewohnt warmen Temperaturen, teils im Grünen, teils in der Stadt, wo wir bereits verbilligte Abreißkalender (Großvaters Grüne Gartentipps, jetzt täglich!), auf Halde schimmelnde Terminplaner und gratis-Apothekertaschentücher besorgten, dazu Tischfeuerwerk mit GoldnussschokoladeNordseekrabben, türkische Vorspeisen und allerlei für Sylvester: Beim Discounter wurden Eier mit Haltbarkeitsdatum zum 8. Januar verschenkt, weil schon die Lieferung mit denen angekommen war, die erst zum 15. Januar ihre Mindesthaltbarkeitsfrist erreicht haben! Wenn das kein Glückszeichen ist, dann ist es der Groschen (auf deutsch gesagt, das 10-Pfennig-Stück), den ich an Heiligabend vor einer geschlossenen Glühweinbude gefunden hatte. Genauer gesagt, die Bude war nicht von der Weihnachtsaufsicht geschlossen worden, sondern hatte nie aufgemacht, in der Südstadt stellen sie jetzt schon prophylaktisch Buden hin und schreiben eine Telefonnummer dran, dort kann sie mieten, wer sich am Weihnachtsgeschäft mit der Ausgabe von Weihnachtsbenzin beteiligen will, sowas nennt man "Stadtmöblierung"! Sylvestermüll am RheinuferWahrscheinlich hätte ich damit besser verdient als mit meinen Korrekturen. Die Kölner haben ein merkwürdiges Verhältnis zu ihren Plätzen - ich würde es mit "horror vacui" beschreiben - , kaum ist mal einer freigeschlagen, wird er mit Würstchenbuden, Bierzelten, Eislaufflächen, Straßengastronomie nebst Heizpilzen, Saison- und Flohmärkten vollgemüllt. Und wo sonst nichts ist, nämlich am Rheinufer, hinterlassen die Betrachter des Sylvesterfeuerwerks eine solche Unmenge an HundekottütenspenderFlaschen, Plastik-Sektkelchen, Raketenplastik, Kracherpapier und sonstigen festiven Überresten, dass man sich richtig heimisch fühlt als Bewohner des Schweinestalls, als die sich die Bewohner meiner Heimatstadt gern zeigen. Gegen die Hinterlassenschaften ihrer Köter kann man wenigstens Müllsäckchen kostenlos beziehen (wenn mir auch das Wort Hundekottüten, an zahlreichen Stellen im Stadtbild prägnant gepostet, wenig angenehm auffällt, die Wiener "Trümmerlsackerl" klingen wenigstens harmloser). Aber auf die naheliegende Idee, zu Sylvester auch den Haltern der vierbeinigen Freunde welche auszugeben, damit sie ihren Dreck selber mitnehmen und zuhause oder meinetwegen in öffentlichen Mülleimern entsorgen, kommt die Stadtreinigungsbehörde nicht. - 'Aber zurück zu Sylvester, wir verbrannten dann noch ein wächsernes Glücksschwein, das uns ein Gast beim großen Muschelessen vom 29. 12. mitgebracht hatte, und verzehrten wahnsinnig kalorienhaltige Nußschokolade aus Italien,Maternuskirche in Köln, Rückseite ebenfalls ein Gastgeschenk aus gleichem Anlass. Die Knallerei hielt sich in unserer Gegend in Grenzen, wenn es auch sehr laut war je eine halbe Stunde vor und nach dem Jahreswechsel. Das Kabarettprogramm war abscheulich, die ganze Ohnmacht der dummen Auguste, die nur noch herumschimpfen, wurde quälend deutlich. Eine so korrupte und biedermeierliche Regierung wie die unsere müsste frontal angegriffen werden, nicht mit hautfreundlichem Priol pelzig-weichgespült werden (verdammt, welchen Haarfestiger benutzt der nun wieder?), Eisentür am HindenburgparkSt. Maternus in Kölnwährend der sogenannte Kult-Kabarettist mit dem nuhralgischen Pokerface sich vor einer riesigen transparenten Kulisse, die seinen Namen und die Zahl 11 trug (kommt bestimmt als 12 am nächsten Jahresende wieder), von einer vollbesetzten Halle goebbelsschen Ausmaßes dermaßen bejubeln ließ, noch bevor er auch nur den ersten Witz aussprechen konnte (wir wissen aus eigener Erfahrung, dass bei Live-Übertragungen entsprechende Signale zum KLATSCHEN auffordern, wahrscheinlich auch zum Lachen oder Gemüsewerfen), dass wir vor Ekel ausgeschaltet haben. So beendeten wir das Jahr mit Radio (warum wird eigentlich jeden 31. 12. im Klassikprogramm kurz vor 12 die schöne blaue Donau aufgelegt? wahrscheinlich kann man die gut zugunsten des Zeitzeichens ausblenden, wenn's pressiert) und schliefen bis 10 durch. Der Spaziergang durch das Neujahr führte uns dann zum Rheinufer und endete unter der Südbrücke vor einer sonderbaren, rostigen Tür, die wohl noch vor Jahrhunderten in einen spätmittelalterlichen Kerker geführt haben mag, und den man der dann einem dieser herzigen Motoristenklubs überlassen hat, die ihre Mitgliedsbeiträge im Drogengeschäft und im horizontalen Milieu erwirtschaften lassen. Im Hindenburgpark trafen wir bei feinem Nieselregen unbeirrte Boule-Spieler, die sich hier jeden Sonntag verabreden. An den Art-déco-stilisierten Fassaden der Südstadthäuser findet man die merkwürdigsten auskragenden Gargoyles, darunter eine Eingang Notkirche St. MaternusWindsbraut, die für Rückenwind sorgt, die soll ein Symbol für das Neujahr sein. Und ganz am Ende besahen wir noch die Maternuskirche, wo der Vater von Heinrich Böll die Kirchenbänke getischlert haben soll - aber es war geschlossen und wir konnten trotz Sonntags nicht hinein! Einst war dies eine stattliche heilige Versammlungshalle für die rheinischen Arbeitermassen, die hier sonntäglich die Messe hörten - 1914 war der Bau vollendet, gerade rechtzeitig, bevor der Krieg ausbrach und die Waffen gesegnet wurden. Die Moderne kam, und mit ihr die fortschreitende Säkularisierung, nach dem zweiten Weltkrieg (vermutlich), als alles in Trümmern lag, wurde hier eine "Notkirche" eingerichtet,  inzwischen müssen Maternus- und Severinsgemeinde zusammengelegt werden, um das Kirchenwesen überhaupt noch zu unterhalten, und den rückwärtigen Teil, vielleicht früher mal Hospiz oder Klosteranlage, hat man als ganz normale Apartmentwohnungen vermietet. Und damit kamen wir so wieder auf die Bonner Straße zurück, wo der Koaför ist und die Pferdemetzgerei, und wo der Bus hält, der uns Richtung Zollstock (beim Nachdenken über die richtige Schreibung von Hundekottüten fiel mir allerdings ein, dass der Name dieses Stadtteils, rückwärts gelesen, Kotzlotz lauten müsste) nach Hause brachte. Diesmal entwertete ich noch keine der kostbaren, am 31. 12. auf Vorrat gekauften Fahrscheine, und genoß den Neujahrsluxus des Schwarzfahrens  auf dieser cityfernen Strecke erst recht, denn der Tarif ist über Nacht um 3,5 % geklettert, da lohnt es sich richtig.

    Art-déco-Fassadenelement in der Südstadt


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  • Commentaires

    1
    karinkornelia Profil de karinkornelia
    Jeudi 5 Janvier 2012 à 15:50

    Da fällt mir doch ein, dass ich in Holland auch noch Salonfotos für Kornelia gemacht habe. Ich weiß aber nicht mehr, ob ich die geschickt habe.



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