• Der Sieger von Waterloo

    Dass man des hundertsten Todestages von Joe Cocker, Sieger der Schlacht von Woodstock, eines Tages im Trubel der Klagenfurter Udo-Jürgens-Festspiele gedenken würde, hätte man auch nicht ahnen können. Hoffentlich geht sein Nachruhm darüber nicht unter wie der des Siegers von Waterloo, Herzog Wellington, dessen Nachkommen zum Dank dafür, dass er Europa vor dem Diktator rettete, bis vor kurzem noch eine Leibrente vom belgischen Staat bezogen haben. Doch dass in Wahrheit Napoleon als Sieger vom Platz ging, kann man allenthalben in den Andenkenläden sehen. Der Sieger von WaterlooAls Ansteckbutton, Kühlschrankmagnet, Aschenbecher und Briefbeschwerer, in Wachs nachgebildet (mitsamt seinem Pferd "Vizier"), kurz, wohin man schaut, Napoleon, Napoleon, Napoleon und nichts wie Napoleon. Von Wellington, na schön, da gibt es so eine Löwenfigur. Aber die Ostmächte konnten ja damals nicht einmal durchsetzen, das die Schlacht nach ihrem Bündnis, der "Belle Alliance" benannt wird. Blücher'n und Co. fühlten sich übel angepisst, wenn in ihrer Gegenwart jemand wagte, die Schlacht mit "Waterloo" zu etikettieren. (Wir vermeiden jetzt mal eine etymologische Tiefenerkundung danach, woher der Name Waterloo stammt...) Der Name, den Preußen bevorzugte, fristet im Kulturgedächtnis ein Schattendasein als Praxisadresse von Dr. Gottfried Benn, und die Belle-Alliance-Straße, wo er die Haut- und Geschlechtskrankheiten der Dadaisten kurierte, heißt heute Mehringdamm. Das Gedicht auf die Schlacht stammt auch nicht von Benn, oder? "Tag war's, doch trüb', in Strömen floß der Regen, / Des Himmels feindlich graues Wolkenheer / Zog geisterhaft auf langen, weiten Wegen / Und lagerte sich tief gewitterschwer. / Fast schien's, als sei für immerdar, umnachtet / Der Sonne Blick, nach dem das Leben trachtet." Nur die schiefe Heer-Metapher hätte nicht zu Benn gepasst - Minna von Strautz hieß die Autorin!

    Überhaupt hätte, wenn wir von "Schlacht von Belle-Alliance" sprächen, dies ohnehin wieder nur an Napoleons Hauptquartier erinnert. Der hatte im Gasthaus Belle-Alliance sein Lager aufgeschlagen, welches angeblich seinen Namen schon nach der Ehe eines jungen Kerls mit einer alten Dame hatte. Ob in dem Gasthaus später Wellingtons Lieblingsspeise serviert wurde? Bereiten wir uns schon heute zünftig auf die kommende Zweihundertjahrfeier von Waterloo vor, und versuchen wir es zu Weihnachten mal nicht mit einer Gans, sondern mit Beef Wellington. Da ich ein Zufallskoch bin und eigentlich immer improvisiere, hatte ich nur die vage Erinnerung an einen Webcomic, über dessen Verlinkung ich auf den Film mit dem Londoner Sternekoch Gordon Ramsey gekommen bin. Klar, in dessen Landhausküche ist alles pingelig sauber (hat er da Geldscheine zum Trocknen auf der Wäschleine am Küchenbord?), nie versagt der Mixer beim Zerkleinern von Kastanien, niemals pappt die Lebensmittelfolie zusammen und die plötzlich auftauchende Bulldogge klaut nicht mal eben das Fleisch vom Teller. Also, wer das perfekt nachstellen will, verlasse diese Chaotenküche auf der Stelle und sehe sich bei Youtube um. Wir hatten, als wir uns gestern kurzerhand - nach vorgezogenem Heiligabend-Ladenschluss - zu Beef Wellington entschlossen, kein Rinderfilet, keinen Blätterteig und keine Kastanien ("Without chestnuts, it is not Christmas", meint der Sternekoch dazu). Dafür hatten wir aus der MHD-Ermäßigungskühlbox unseres Lieblingsdiscounters ein schönes Entrecôte, noch etwas Backhefe und Walnüsse (die wir durchaus nicht alle den Eichhörnchen geben). Man braucht außerdem rohen Schinken, Pilze, Nüsse und Kräuter, ein Ei, grobkörniges Salz und Senf. Das Fleisch herausnehmen, die Schachtelverpackung in den Papiercontainer, den signalroten 30 %-billiger-Kleber vorsichtig abpiddeln und getrennt entsorgen, damit ihn die Nachbarn nicht erspähen... und schon kann's losgehen!

    Das Fleisch, von dem meine Lieblingsköchin noch hier und da etwas Fett absäbelte, ließ sich gut in zwei Hälften zerlegen, weil man es ja nachher in den Teig rollen muss. Gordon's Filet hat schon diese passende Walzenform. Das Teil mit Senf einpinseln ("English mustard", so'n Blödsinn, wir haben welchen aus Dijon genommen und Rüsseldorfer Mövensenf täte es auch). Aus der ins Mehl (fünf Tassen davon waren nicht zuviel, da wir ja nun 2x Fleischkuchen hatten) gebröckelten Hefe, etwas Zucker und einem Klecks warmem Wasser den Vorteig anrühren, Handtuch auf die Schüssel, stehenlassen; nach 15 Min kann man mit noch einer Tasse Wasser und etwas Öl einen Hefeteig kneten. Der hat bei den folgenden Vorbereitungen auch Zeit genug zum Gehen: das allseitig gut gepfefferte und gesalzene Fleisch muss nämlich allround in sehr heißem Fett gebraten werden, nach Der Sieger von WaterlooGordon Pym Ramsey muss es mitunter an den Rand der geschrägten Pfanne geschubst werden, damit Unter- und Oberseite sich auch gut verschließen, alles klasse, wenn man auf dem Lagerfeuer brät, anstatt auf einem öden Elektroherd-Ceranfeld. Wie vermiss' ich meinen guten alten Russengas-Herd! Nun die "Füllung", eigentlich Quatsch, denn das Fleisch ist die Füllung und dieses Zeug sowie der Schinken- und Teigmantel bleiben außen: Champignons hatten wir nicht, nahmen also Dosenpilze und noch ein paar getrocknete, die wir immer vorrätig haben (sehr praktisch für die im Alltag so oft erforderliche spontane Nudelsoße), das kam alles mit den Walnüssen, Mandelsplittern und schon geriebener Haselnuss in den Mixer, Gordon schüttelt den nur kurz, bei mir war das ein endloses Gefrett, bis alles zerkleinert und herausgelöffelt war - weiß der Teufel, wie er das mit vorgekochten Kastanien macht, und ich finde, da wir sie sowieso nicht hatten, die schmecken auch gar nicht, weil sie nachher zu penetrant sind - , und mit dem "Zauberstab" musste ich später nachhelfen, dass so ein graubrauner Haufen Gebrösel daraus wurde. Das aus Pilzen und Nüssen gewonnene Geröllzeug kommt in eine fettlose Pfanne und soll darin vor allem trrrrocken werden, um das Trocknen geht's, nicht um's Gebratenwerden. Damit es auch nach Weihnachten schmeckt, haben wir Anis drangetan, ferner Rosmarin (Gordon nimmt Thymian) und noch den Rest einer italienischen Kräutermischung.

    Der Sieger von WaterlooJetzt rollen wir die Frischhaltefolie auf dem Tisch oder einem größeren Tablett aus, die auf Youtube ist riesig, wir haben sie daher rot-kreuz-förmig verlegt, auf die Folie schichten wir den Schinken - statt "parma ham" der Schicki-Micki-Gastronomen hatten wir ordinären Landschinken - nebeneinander breit genug, dass nachher das Fleisch draufpaßt. Auf diese Schinkenfläche - halt! vorher nochmal ordentlich pfeffern! - verteilen wir flach das erkaltete Pilz-Nußzeug aus der Pfanne, darauf kommt dann der Fleischbatzen. Und jetzt der Clou, wir rollen das jetzt von der Folie her, die nachher umgeschlagen wird, ganz eng zusammen wie den Bundeswehrschlafsack, damit der Spieß uns nicht anbellt, und zwirbeln die Folienhaut wurstartig an den Enden fest zu, man könnte es mit so Tiefkühltüten-Knipsern schließen, die fanden wir grade nicht, aber es ging auch so. Diese hübsche gutverpackte Wurst, nach außen sieht man nur den Schinken, versteht sich, kommt mindestens 15 Min. in den Kühlschrank (müßig herumzuliegen ist eigentlich die wichtigste Aufgabe, die ein Stück Rindfleisch in dieser Phase der Zubereitung hat, und das kann nie schaden, im Ofen liegt's dann ja auch nur herum). Inzwischen wurde der Hefetieg nochmal durchgehauen und warmgestellt und endlich möglichst dünn ausgerollt, diese Fläche mit Handtuch zudecken und nochmal gehen lassen. Dann wiederholt sich die Prozedur mit der Frischhaltefolie, neue kreuzförmige Auslegung und auf die kommt nun aber der Teig mit viel Rand. Wir holen die Schinken-Pilznuss-Rindfleischwurst aus dem Kühlschrank, entfernen die olle Folie und legen das Teil auf die Teigfläche. Und nun erneut einrollen, immer an den Bundeswehr-Schlafsack denken, schön vom Folienrand her einrollen, nach hinten eng umschlagen, aufpassen, dass der Teig an den Seiten das Fleisch gut einschließt, notfalls anfeuchten und "flicken", und wieder ein pickepacke-kompaktes Päckchen daraus machen. Die Folie seitlich zwirbeln und als Wurst - je gleichmäßiger es liegt, sagt Gordon Ramsey, desto gleichmäßiger gart es nachher - erneut in den Kühlschrank. Ofen inzwischen auf 150 bis 180 Grad vorheizen, keine Umluft, das ist zuviel des Guten, und inzwischen vom Weiß getrenntes Eigelb verrühren, die Teigwurst nach 15 Min. wieder hervorholen und mit Eigelb einpinseln (Folie natürlich vorher abmachen, oder wollt ihr das Fleisch im Ofen mit Plastik gratinieren?). Dann soll man auf dem Teigling vorsichtig nur mit dem Messerrücken (ich hab's übertrieben, oben fiel später die Teighülle auseinander beim Aufschneiden) einen Längsstrich ziehen und in scheibenbreitem Abstand viele Querstriche. Wo nehmen wir jetzt  noch grobkörniges Salz her, verdammt! Aber wir hatten doch im Oktober diese Aufback-Brezeln mit einer Beipacktüte mit groben Salzkörnern, es waren zuviele, da bleiben immer welche übrig und das Tütchen hatten wir aus Geiz aufgehoben. Auf der mit Eigelb gepinselten Teighülle verteilen, und ab in den Ofen, etwa 45 bis 60 Minuten, wenn das Rindfleisch, sagen wir, säuglingsschenkeldick ist. (Die korrekte Zubereitung eines Säuglings hat Gottfried Keller mal in einem Brief an junge Eltern erläutert.)

    Hinterher ist das natürlich ein tolles Eventfuttern, wenn man die Rolle zu Feldsalat o. ä. serviert, mit Blätterteig sieht es sicher noch besser aus, aber unser Hefeteig hatte den Vorteil, nicht so durchzusuppen, er nimmt den Fleischsaft an, lässt ihn nicht raus und wird nicht hart, und die Scheiben, mit Minzsoße serviert (hält sich angebrochen ewig, wann hatten wir die letzte Lammkeule, das ist doch Monate her!), mir war die Senf-Preißelbeer-Marmelade nicht scharf genug. Wie man auf dem leider auch nicht grade scharfen Foto sieht (inzwischen durch Handybild meiner Liebsten ersetzt), war es sehr stimmungsvoll! Nächstes Weihnachten verlangt die Mitbewohnerin nach "Boeuf Stroganoff", damit auch andere Aliierte von Waterloo mal zum Zuge kommen - aber da hören wir uns natürlich vorher nochmal das von Friedrich Hollaender in Reime und Musik gebrachte Rezept an. Und zum Jahrestag der Schlacht am 18. Juni gibt's Teltower Rübchen, den Preußen zu Liebe, die alles ausbaden mussten.


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