• Gtrabstein mit groß geschriebenem UndÜber Tote soll man nichts Schlechtes reden - aber auch nichts Falsches. An diesen wohl unwidersprochenen Grundsatz zu erinnern, dürfte in der Ende-Oktober-Zeit, vor Allerheiligen und Allerseelen, mal wieder angebracht sein. Nicht alle waren Heilige, aber alle waren Seelen von Mensch. OrthoepigraphieNatürlich kann sich - all things must change - auch die gute Meinung über einen Verstorbenen ändern. So mag der Ruhm einst vergötterter Künstler, wie die zur Zeit in Bonn ausgestellten Malerfürsten beweisen, wenige Jahrzehnte nach ihrem lorbeergekrönten Wandeln auf Erden unversehens verglimmen und erlöschen. Oder ein früher allseits geschätzter Zeitgenosse entpuppt sich nach dessen Abgang bei einer Neubewertung in gebührendem Abstand als übler Stinkstiefel. Aber nicht solch moralische Urteile oder Verurteilungen von Charakterfehlern sind hier gemeint. Ich möchte, kleinlich wie immer, auf die orthographischen Macken hinweisen, die sich, weil mit ehernem Griffel geschrieben, nicht so leicht korrigieren lassen. Es sieht doch irgendwie peinlich aus, wenn man am Grab eines Ehepaars steht Und auf dem Gedenkstein ist die Kopula zwischen Mann Und Frau - wie im anderen Beispiel (von demselben Friedhof) "ist" in einemGrabstein mit Schreibfehler "Tot" Bibelzitat - aus unerfindlichen Gründen großgeschrieben? OrthoepigraphieDas zweite Beispiel dazu gar noch mit großem J, und das darauffolgende kleine j in "ja" hat nicht mal einen j-Punkt? Ich wäre ganz geneigt zu glauben, dass damals, im Zeitalter der Dampfkraftmeierei, eine geheimnisvolle Schreibmaschine existierte, die - ähnlich wie die Linotype beim Bleisatz - den Marmor mit Schlegeln behämmerte, nach genau der Form, die der Steinmetz über eine Tastatur eingab. Nur dass dieser Tastatur, falls es stimmt, großes I gefehlt hat und beim kleinen j der Punkt ausgeschlagen war. Kann ja mal vorkommen, Schwamm drüber. Das würde allerdings noch nicht den Lapsus in dem Adjektiv "tot" erklären, das hier sinnstörend zum Substantiv geworden ist. Vielleicht hatten die HinterbliebenOrthoepigraphieen es sehr eilig mit der Bestellung und der Text wurde durchtelefoniert und sozusagen pris sur le vif eingemeißelt? Dass mir an einem Wasserkran auf dem Friedhof (einem anderen) beim Einfüllen der Gießkanne das Wort "totraumfrei" in die Augen sprang, hatte allerdings nichts mit dem Totenkult oder Grufti-Späßen zu tun. Das Wort ist der Klempner-Fachsprache entnommen und heißt einfach, das Wasser steht nicht irgendwo im toten Winkel herum und bildet Bakterien aus. Aber wenn es keine lebenden Bakterienkulturen enthält, müsste es nicht dann "lebendraumfrei" heißen? Und ist der Griff an dem Kran von dem Hahn nun rechts- oder linksherumdrehend? Der Hinweis bietet allerdings auch keine Garantie dafür, dass jenes Wasser nicht doch zuvor durch Totenräume (Gräber) geflossen ist - wie es angeblich im Elternhaus der Brontë-Sisters der Fall war, wie Arno Schmidt in Angria & Gondal: Der Traum der taubengrauen Schwestern behauptet: "Pfarrhaus & Friedhof beisammen; und das letztere 'höher gelegen'? totraumfreier WasserkranDas hör'ich arg gern; zumal in jener Zeit der Flachbrunnen mit Handpumpe: wäre da nicht gegen das Trinkwasser einiges Namhaftes einzuwenden gewesen?... Die hohe Sterblichkeit im Pfarrhause kann durchaus auch damit zusammengehangen haben - gesund ist es auf keinen Fall gewesen." Ein paar Seiten weiter wird Arno Schmidt deutlicher: "...die Morgensuppe angerührt: mit dem unrettbar verseuchten, aller sanitären Maßnahmen spottenden, Leichenwasser..." Dem ist aber aus meinem eigenen Erfahrungsschatz anzumerken, dass ich in jüngeren Jahren viel in Frankreich autostoppend und zu Fuß unterwegs war. Da will man auch mal Pause machen; außerhalb der Städte, an den Ausfallstraßen nach Süden oder Norden, befinden sich die Friedhöfe, unter Zypressen ist es schattig, Bänke laden zum Verweilen ein. Da ist gut Beine ausstrecken und Brotzeit verzehren, und Friedhöfe haben immer irgendwo ein Klo, wenn's mal pressiert, und sollte die Thermosflasche leer sein und man will Wasser nachfüllen, ist immer welches da. Geschadet hat mir der dem Friedhofsquell entnommene Labetrunk wohl nicht!

    Dass ich abelehrung durch mülltonnenllerdings in zunehmendem Alter immer häufiger mit murksoiden Texten umgeben bin, ist vielleicht auch eine Folge der Sensibilisierung durch Friedhofswasser. Dummerweise kann man diese Fehlschreibungen nicht mal rasch mit Filzstift übermalen so wie in dem Schild mit den ergänzten Naturschutzregeln aus dem Siebengebirge. Das sähe (auch wenn es mir in den Fingern juckt, roten Filzstift sollte man nehmen, den ganzen Friedhof durchkorrigieren und eine Note unter das missratene Diktat schreiben) nach Vandalismus und Störung der Totenruhe aus und brächte mir am Ende noch eine Geldstrafe ein, während der rechtschreibschwache Steinmetz sich ins schwielige Fäustchen lacht, falls er nicht längst Hammer und Meißel beiseite gelegt und selber das Zeitliche gesegnet hat. Aber er fand würdige Nachfolger in jenem Schildermaler, der einen Hinweis für Rechtsabbieger im Kölner Süden verbumfeit hat. Während der arme Autofahrer die komplizierte AnweisungOrthoepigraphie noch vergebens ausbuchstabieren will, ist ihm längst jemand reingefahren und die anderen Verkehrsteilnehmer stehen hupend und schläfenmühlchendrehend um ihn herum. Und was zum Teufel hat es zu bedeuten, wenn die Wortfolge WIR LEBEN EINRICHTEN, unabwischbar lackiert auf eine Straßenbahn, so ganz und gar nicht MIR WOLLEN EINLEUCHTEN? Ich nicht einrichten wollen auf lesen Dummdeutsch! Und an solchen SpraOrthoepigraphiech-Müll müssen wir uns, was die Zukunft angeht, wohl oder übel gewöhnen. Kein Wunder, wenn mit einem ähnlichen Spruch der hessische Spitzenkandidat Thorsten Schäfer-Gymbel, dessen Zweitnamen ich grundsätzlich mit Ypsilanti schreibe, die nunmehr dritte Landtagswahl vergeigt hat. Natürlich kann man auch den text(il)freien Werbeauftritt suchen und seine Botschaften zunehmend entsprachlichen, wie jener Brillen- und Hörgeräteverkäufer in Bad Ems, der die Wiedereinführung der Hieroglyphenschrift auf dem Ladenschild vorangetrieben hat und den Punkt vom Treff als großen orangenen Ball ans Schildende pinselt.Augenoptiker-Ladenschild Ob Druck, ob Lack, ob in Granit geätzt oder auf Marmortafeln graviert, das alles wird vom Internet übertroffen, wo zwar der größte Blödsinn zu finden ist, immerhin aber alles mit einem Mausklick gelöscht oder notfalls korrigiert werden kann. Will man das dokumentieren, muss man schon auf Screenshot zurückgreifen wie bei der Programmankündigung neulich, mit welcher der einst "Rotfunk" genannte Westdeutsche Rundfunk den Genossen Holger Meins als einen der Botschaftsbesetzer in Stockholm bezichtigt hat. Zudem wär er nach 20jährigem Knastaufenthalt noch 10 Jahre in den Favelas von Rio für den "Weltfriedensdienst" tätig gewesen, komisch, mich erinnert das immer an die katholisch gewordenen SS-screenshot der WDR5 AnkuendigungLeute, die nach 1945 im Handumdrehen Gutes taten und sich für jüdisch-deutsche Begegnung oder Literaturgeschichte  stark gemacht haben, wie jener Professor Schschsch ...Schneider aus Aachen, der sich selbst totsagte und seine Frau neu heiratete und fortan "Schwerte" hieß wie Schwertlein im Faust (von dem Mephisto der lustigen Witwe sagt, "ihr Mann ist tot und lässt Sie grüßen!"). Sind so Bußauflagen, damit die Nachwelt sagt, der hat doch manches Gute bewirkt, ne?  Bundesverdienstkreuz musste der Prof. zurückgeben und verlor seine Bezüge, aber der hatte (sich) genug erspart, da musste die "Stille Hilfe" nicht helfen. Meins hat die Stockholmer Botschaft nie von innen gesehen, er starb 1974 wg. Hungerstreik und seine Aufbahrung als Gandhi-Guru in weiß mit langem Bart wurde Kultbild der RAFkes und ihrer Gutheißer. Von da an hieß das Kommando "Holger-" (unter dem Namen stürmten sie die Botschaft und ermordeten Zivilisten), und später, nach dem Abebben der Linksextremie und dem Aufleben der New Economy "Alles Meins!" Einem echten Sympathisanten wär das nicht passiert, insofern kann wg. "Rotfunk" beim WDR Entwarnung gegeben werden.


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  • Man glaubt's ja eigentlich nicht, dass man auch schon vor 150, 200 Jahren in aller Offenheit die Kleinanzeige als Medium benutzte, wenn es um um Liebesangelegenheiten ging, oder um Probleme, die eigentlich höchste Diskretion erfordert hätten. Gute alte Medien - heute: die KleinanzeigeDas Publikum wird Bescheid gewusst haben, wo es bestimmte Auskünfte sucht und findet. Das, worüber man nicht öffentlich reden konnte, ist in den Zeitungen mit ihrem Kleinanzeigenteil gar nicht so unauffindbar versteckt, dass nicht alle orientiert gewesen wären.... Gut, Ärzte für Haut- und Geschlechtskrankheiten haben ihre staatlichen Konzessionierungen und führen eine Praxis und nennen in der Regel auch öffentliche Sprechstunden, und Dr. Eduard Meyer in der Krausenstraße 62 suchte sich schon das richtige werbliche Umfeld für seine Kleinanzeige. Apropos, wusstet ihr, dass auch ganz normale Zeitgenossen im Adressbuch ihre "Sprechstunden" veröffentlichen konnten? Gute alte Medien - heute: die KleinanzeigeÄußerst merkwürdig, aber so war's, es gab damals noch Menschen, die sich über Besuch freuten und dann eben Mittwochs von 9 bis 12 zu Hause waren, falls man sie ansprechen wollte, z. B. den "Schriftsteller, Concipient und Commissionair E. Forsberg" im Berliner Adressbuch von 1875, der war 8-10 h Abends zu sprechen, oder "C. Forster, Publizist" (ganz unten, mittlere Spalte), den konnte man von neun bis halb zwölf in der Leipzigerstr. 24, II. Etage antreffen - nicht so den in der Kolumne links daneben stehenden Schriftsteller Th. Fontane, Potsdamer Str. 134 c., der hatte keine festen Sprechstunden. Zwar bediente man sich auch damals schon in manchen Fällen der Chiffren-Anzeige über eine Redaktion, aber wenn selbst das nicht opportun war, hat man eben Briefanfragen "poste restante" erbeten wie dem obigen Beispiel aus der National-Zeitung vom 30.10.1861. Das Haarefärben ist auch noch einigermaßen okay, das kann man unter Adressen wie der "neuen Grünstraße" anbieten (ob die Haare dann so sind?). Natürlich ist auch nicht immer sicher, wer eine bestimmte Anzeige aufgegeben und womöglich seinen Intimfeind damit gefoppt hat, und ob auf Forderungen in entsprechenden Dementi-Annoncen reagiert wurde (wie hier am 12.11.1861, National-Zeitung), wer weiß? Bloße Namensverwechslung ist eigentlich ausgeschlossen, weil der Mädchenname der Frau in der offenbar Falsches behauptenden Geburtsanzeige steht.Gute alte Medien - von anno damals: die KleinanzeigeGute alte Medien - von anno damals: die Kleinanzeige

    Wer allerdings die größte Diskretion walten lassen wollte, erbat eine Zuschrift an Deckadresse. Die oben rechts vorfindliche Sammlung amüsanter Anzeigen ist vom August 1858, vermutlich aus der Vossischen Zeitung, stammt nämlich von dem Sammler, dessen Zeitungsausschnitte mir vorliegen (die späteren von 1861 habe ich mir selbst ausgesucht aus dem Digipress-Katalog, dem Wegweiser der Bayrischen Staatsbibliothek ins 19. Jahrhundert). Allerdings, für andere mitunter unwillkommene Folgen eines Geschlechtsverkehrs, die nicht unter dem Rubrum "Krankheit" zu fassen sind, gab es keine Abhilfe, die man so offen anbieten konnte. Manche Werbung, selbst wenn's nur die Info über Sprechstunde sei, ist ja auch noch heute verboten!


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  • Soviel ich weiß, hat Eulenspiegel mal für einen Bäcker gearbeitet und statt der Brote oder Lebkuchen oder was immer er da backen sollte, Eulen und Meerkatzen gebacken. Der Grund war, dass der Bäcker auf die Frage, was er denn backen solle, etwas unwirsch geantwortet haben soll, Eulen und Meerkatzen halt. So eine Redensart wie Äppelschalen, was anderes können sie nicht rausgeben und "nachts ist es kälter als draußen, dann holen wir eben das Haus rein". Und im Wörtlichnehmen von Redensarten erschöpft sich eigentlich das gesamte komische Repertoire von Eulenspiegel, wenn man die Furzwitze und die koprophilen Geschichten mal beiseite lässt.

    Eulen und Meerkatzen

    Nun fand ich aber überraschenderweise eine Annonce, die am 16. Oktober 1861 in der Berliner National-Zeitung erschienen ist. Da vermisst einer seine Meerkatze, die ein "schlechtes Gesicht", "graue Augen" und "hübsche Füße" habe - Eigenschaften, die, von den Füßen mal abgesehen (die eigentlich wie am unpassenden Ort angeschraubte Hände aussehen), auf das gleichnamige Wikipedia-Tier zutreffen könnten.Animal forms; a second book of zoology (1902) (17574129674) Aber wie soll ich das verstehen? Hat da jemand seinen Privatzoo gehalten, mitten in Berlin? Natürlich ist in Adelskreisen, die bevorzugt plattgefahrene Raubvögel und backenblasende Leuen in ihrem Wappen führen, mit allem Möglichen zu rechnen. Immerhin gab es in Berlin ja auch einen Bärenzwinger und eine Pfaueninsel. Also gut, nehmen wir an, dem ist wirklich die Meerkatze entlaufen und das ist kein eindeutig-zweideutiges Angebot wie manches, das in der Curiosa-Abteilung eines Zeitungskonvoluts eines mir wohlbekannten Sammlers zu finden ist. Diese curiosa werde ich voraussichtlich zum Adventskalender machen, es sind so viele, dass es sich lohnt, die besten rauszusuchen.


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  • Recept gegen den Schwindel.

    Nimm: drei Drachmen wildaufflammenden Zorn,

    (frisch zu haben an Deutschlands Dichterborn).

    Dann: den Schmerzensschrei ganzer Nationen,

    Weltenschmerz und zerfahrnes Gemüth,

    Freiheitsträume, von Deutschthum durchglüht,

    von jedem, nach Gusto, drei starke Portionen.

    Adde: Katholicismus und Mönchswesen,

    herauf beschworen aus dunklem Schacht,

    längst verfloss’ner Jahrhunderte Nacht,

    wie es in allen Journalen zu lesen;

    dann: ein Drachma von Luther’s strahlendem Licht,

    ankämpfend gegen die feindlichen Geister –

    und (wenn es an gründlichem Wissen gebricht)

    zwölf Gran schöner Worte schwülstigen Kleister.

    Dies alles vermischt – nimm des Abends ein,

    bald wirst du gesund – – wie der Zeitgeist sein.

    Amalie Krafft in: Morgenblatt für gebildete Stände, Nr. 163, 21.8.1838, S. 651.

     

    Und hier noch was Älteres, auch nicht schlecht: Aus den Schlussworten einer Rezension, die Christian Konrad Wilhelm von Dohm einst schrieb (rezensiert wurde ein Buch namens Betrachtungen über den Zeitgeist in Deutschland in den letzten Decennien des vorigen Jahrhunderts)

    "...Charakteristisch und nachtheilig wirksam war die schnelle Verbreitung der Begebenheiten und Ideen des Tages durch Zeitungen, Journale und Flugschriften. Sie ward Quelle der Seichtigkeit, und Nahrung für die Unruhe.

    Das vervielfältigte Zeitungslesen vermehrte die politische Kannegießerey, diese schadete dem Wahrheitssinne. Man haschte nach Neuigkeiten ohne auf Wahrscheinlichkeit, ja physisch-geographische Möglichkeit zu achten.

    Wie die Zahl stieg, so wurden die Zeitschriften seichter. Doch wurden sie Hauptlectüre, ja einzige, und zum großen Nachtheil wahrer Bildung, blieben wahrhaft classische Schriften des Alterthums und der neueren Zeit ungelesen. Es entstand eine Circulation nicht fruchtbringender Art. Oberflächlichkeit und Schalheit, wozu von den neueren Pädagogen der Grund gelegt war, ward noch mehr verbreitet."

    Quelle: Jenaische Allgemeine Literatur-Zeitung Nr. 204, 31.8.1808, Spalte 408.

     

     


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  • Das folgende liegt als Zeitungsausschnitt von 1845 in der "Curiosa"-Mappe eines bedeutenden Sammlers.

     

    Reußische Fürstenthümer.

    Unter der Aufschrift: „Zur Verwaltung und Polizei“ theilt das Adorfer Wochenblatt folgende neue Verordnungen des Fürsten von Reuß-Lobenstein-Ebersdorf mit:

    „I. Ich befehle hiermit folgendes ins Ordrebuch und in die Specialordrebücher zu bringen: Seit 20 Jahren reite Ich auf einem Princip herum, d. h. Ich verlange daß ein Jeglicher bei seinem Titel genannt wird. Das geschieht stets nicht. Ich will also hiermit ausnahmsweise eine Geldstrafe von 1 Thlr. für Jeden festsetzen, der in Meinem Dienste ist, und einen Andern, der in Meinem Dienste ist, nicht bei seinem Titel oder Charge nennt. Schloß Ebersdorf, den 12. Oct. 1844. Heinrich 72.

    II. Fürstlicher Erlaß an die Kirchen- und Schulcommission zur Mittheilung an die sämmtlichen Geistlichen. Ich habe die Ansicht daß in Berücksichtigung des Gottessegens heuriger Ernte (doch fällt mir eben bei, daß ein Polizeidirectionsbericht vor uns liegt, die Ernte sey schlecht! wer hat Recht?), daß also, sage Ich, jetzt von der Kanzel ein ernstes Wort trefflich an seinem Orte sey, nämlich so: die HH. Geistlichen würden in ihrer Danksagung an den Himmel ein Thema finden, das Publicum aufzufordern des Himmels Segen nur durch Werke des Dankes zu verehren, die sich dadurch kund thun daß man seine Pflichten gegen seine Mitmenschen und überhaupt besser ins Auge fasse, vorzugsweise durch Befolgung des Gebots: „du sollst nicht stehlen!“ Ist ein reichhaltiges Feld! Nichtbefolgung Vorgedachtes scheint Mir zu diesem Augenblick in den letzten Jahren epidemische Sünde geworden zu seyn. Indem es unnöthig, den HH. Geistlichen nur einen Grundzug zu diesem, wie gesagt, reichhaltigen Texte vorschreiben zu wollen, sage ich nur, das ernste Wort von der Kanzel dürfte sich überall nach der Oertlichkeit modificiren, z. B. in Waldorten über Wild- und Holzdiebstahl, in Lobenstein und Ebersdorf über die Sünden die ihren Grund in der tiefen Liederlichkeit und Demoralisation fänden. Ich würde als Pfarrer schließen: „Schickt, ihr Gottvergessenen, eure Kinder in die Schule! Das Land, eure Mitbürger und euer Landesherrn thun genug für selbige, damit ein besseres Geschlecht für die Zukunft heranwächst etc.“ Schloß Ebersdorf, den 15. Oct. 1844. Heinrich 72.

    III. An die Landesdirection. Wenn Mir auch der neueste, nur schauderhaft und scheußlich zu nennende Vorfall, Ich meine die Beraubung des Steueramtes Lobenstein, nichts weniger als unerklärlich, sondern vielmehr als sehr erklärlich erscheint, und Ich sagen könnte: es sind Behörden im kleinen Lande genug da, um dergleichen ziemlich deutliche Uebelstände zu beseitigen, so ergibt sich nun leider gedreht die Wahrheit: daß besagter Vorfall Polizeizustände sogar für die Blinden herausstellt, die namenlos, mit einem Worte: Lobenstein hat des Nachts gar keine Polizei, und schläft unbewacht!! Wenn der Huhmann’sche, Hohl’sche, Gruner’sche und andere Diebstähle dieß beweisen, so beweist es vorzugsweise der vorliegende, das Steueramt mitten in der Stadt! Der Geldkasten drei Centner schwer! Warum ist so etwas geschehen in Lobenstein? Weil dort noch erbarmungswürdige, althergebrachte Kleinstädterei, verkuppelt mit oberländischer, Lobensteiner Gedankenarmuth, d. h. die Nacht schlafe ich, Punkt halb 5 Uhr stehe ich auf und arbeite wie ein Zugstier, herrscht, was alles der Uebelthäter vollkommen weiß und benutzt, weil das oberländische – „Sich-auf Andere-verlassen“ –  da eintritt, weil Lobenstein in seinen inneren Einrichtungen noch um zehn Jahre zurück ist, während das ganze übrige Land nicht übel disciplinirt, z. B. Hirschberg. Vorgeschicktes macht Mir also nach langen Jahren die landesherrliche Pflichterfüllung zur Pflicht, und Ich will binnen hier und acht Tagen genauen Bericht haben: wer versieht die Nachtssicherheitswache in Lobenstein im Gegensatz zur Feuerwache? Wer controlirt sie? Wer löst sie ab? Wer ist Nachtwächter, und wie viel Mann? Wer war in jener Diebstahlsnacht von dem Aufsichtspersonal der Hauptsünder? Ich behalte Mir vor, die Bestrafung desselben selbst zu verfügen. Indem Ich Mir übrigens nach gemachtem Vortrag weitere auf allgemein geltende Rechtsgrundsätze sich gründende Verfügungen vorbehalte, theile ich der Landesdirection mit daß ich bereits selbst einen Befehl über die Inspection der Nachtwachen gegeben habe, welchen Befehl sich die Landesdirection mittheilen lassen wird, und lasse meine vollkommene Unzufriedenheit sämmtlichen Polizeibehörden, Beamten und Dienern, sowie der ganzen Bürgerschaft in Lobenstein unverhalten seyn. Schloß Ebersdorf, den 5. Mai 1845, Heinrich 72.“

    Weitere nette Anekdoten von Heinrich dem Zweiundsiebzigsten und Erlasse im Wortlaut sind hier und die Fortsetzung hier zu finden.

     


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